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Durchführung Versorgungsausgleich bei geringfügigen Anrechten

Beschluss des Amtsgericht Sinsheim vom 15.3.2012, 21 F 105/11

Der Versorgungsausgleich aus Anrechten soll bei Geringfügigkeit vom Familiengericht nicht durchgeführt werden.

Das gilt auch laut Amtsgericht Sinsheim vom 15.3.2012, 21 F 105/11 für Anrechte aus der gesetzlichen Rente. Es gäbe laut dem Amtsgericht auch keinerlei Gründe, dies nicht auf gesetzliche Rentenansprüche anzuwenden, so auch der Wortlaut des §18 VersAusglG, die Gesetzessystematik sowie des ausdrücklichen Willens des Gesetzgebers .

Hierzu § 18 VersAusglG:

§ 18 Geringfügigkeit
(1) Das Familiengericht soll beiderseitige Anrechte gleicher Art nicht ausgleichen, wenn die Differenz ihrer Ausgleichswerte gering ist.
(2) Einzelne Anrechte mit einem geringen Ausgleichswert soll das Familiengericht nicht ausgleichen.
(3) Ein Wertunterschied nach Absatz 1 oder ein Ausgleichswert nach Absatz 2 ist gering, wenn er am Ende der Ehezeit bei einem Rentenbetrag als maßgeblicher Bezugsgröße höchstens 1 Prozent, in allen anderen Fällen als Kapitalwert höchstens 120 Prozent der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 Abs. 1 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch beträgt.

 

Zum Beschlusstext

1. Die am (…) 2003 vor dem Standesbeamten des Standesamtes (…) geschlossene Ehe der Ehegatten wird geschieden.
2. Der Ausgleich des Anrechts der Antragstellerin bei der Deutschen Rentenversicherung B (…) findet nicht statt.
Der Ausgleich des Anrechts des Antragsgegners bei der Deutschen Rentenversicherung B (…) findet nicht statt.
(…)

Gründe

1
(…)
2
2.Versorgungsausgleich
3
Nach § 1 VersAusglG sind imVersorgungsausgleich die in der Ehezeit erworbenen Anteile von Anrechten jeweils zur Hälfte zwischen den geschiedenen Ehegatten zu teilen. Die Ehezeit beginnt mit dem ersten Tag des Monats der Eheschließung und endet am letzten Tag des Monats vor Zustellung des Scheidungsantrags (§ 3 Abs.1 VersAusglG).
4
Anfang der Ehezeit: 01. 08. 2003
Ende der Ehezeit: 30. 06. 2011
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Ausgleichspflichtige Anrechte
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In der Ehezeit haben die Beteiligten Ehegatten folgende Anrechte erworben:
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Die Antragstellerin:
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Gesetzliche Rentenversicherung
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1. Bei der Deutschen Rentenversicherung B (…) hat die Antragstellerin ein Anrecht mit einem Ehezeitanteil von 1,0984 Entgeltpunkten erlangt. Der Versorgungsträger hat gem. § 5 Abs. 3 VersAusglG vorgeschlagen, den Ausgleichswert mit 0,5492 Entgeltpunkten zu bestimmen. Der korrespondierende Kapitalwert nach § 47 VersAusglG beträgt 3.308,01 Euro.
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Der Antragsgegner:
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Gesetzliche Rentenversicherung
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2. Bei der Deutschen Rentenversicherung B (…) hat der Antragsgegner ein Anrecht mit einem Ehezeitanteil von 1,9230 Entgeltpunkten erlangt. Der Versorgungsträger hat gem. § 5 Abs. 3 VersAusglG vorgeschlagen, den Ausgleichswert mit 0,9615 Entgeltpunkten zu bestimmen. Der korrespondierende Kapitalwert nach § 47 VersAusglG beträgt 5.791,43 Euro.
13
(…)
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Nach Kapitalwerten hat der Ausgleich in Höhe von 2.483,42 Euro zu Lasten des Antragsgegners zu erfolgen.
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Ausgleich:
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Bagatellprüfung:
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Das Anrecht der Antragstellerin bei der Deutschen Rentenversicherung B (…) mit einem Kapitalwert von 3.308,01 Euro und das Anrecht des Antragsgegners bei der Deutschen Rentenversicherung B (…) mit einem Kapitalwert von 5.791,43 Euro sind gleichartig i.S.d. § 18 Abs. 1 VersAusglG. Die Differenz ihrer Kapitalwerte beträgt 2.483,42 Euro und überschreitet somit nicht den Grenzwert des § 18 Abs. 3 VersAusglG von 3.066,00 Euro. Die Anrechte werden deshalb gem. § 18 Abs. 1 VersAusglG vomVersorgungsausgleich ausgeschlossen.
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Entgegen der Auffassung der Ehefrau lässt sich kein dahingehender Satz aufstellen, dass § 18 Abs. 1 VersAusglG auf Anrechte bei öffentlich-rechtlichen Versorgungsträgern nicht anzuwenden ist.
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Der Wortlaut der Norm stellt lediglich auf nicht näher eingegrenzte „beiderseitige Anrechte“ ab und liefert daher keinen Anhaltspunkt dafür, Anrechte bei der gesetzlichen Rentenversicherung, die nach wie vor den typischen Fall der Altersversorgung darstellen, aus dem Anwendungsbereich auszunehmen.
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Auch der systematische Zusammenhang der Norm spricht für eine Anwendung des § 18 Abs. 1 VersAusglG auf Anrechte in der gesetzlichen Rentenversicherung. Während das Gesetz nämlich an zahlreichen Stellen Sonderregelungen für einzelne Arten von Anrechten enthält, wurde mit dem „Unterabschnitt 4. Ausnahmen“ gerade ein für sämtliche Anrechte geltender Abschnitt geschaffen. § 18 Abs. 1 VersAusglG auf den klassischen Fall der Alterssicherung nicht anzuwenden, widerspräche der Systematik des Gesetzes, da es dann nahegelegen hätte, eine Sonderregelung für Betriebsrenten oder private Altersvorsorgeverträge zu schaffen.
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Hiervon ging ersichtlich auch der Gesetzgeber aus: § 18 Abs. 1 VersAusglG wurde in das Gesetz aufgenommen, „damit (…) diejenigen Fälle sachgerecht entschieden werden, in denen beide Ehegatten in der Ehezeit annähernd gleichwertige Anrechte erworben haben, etwa weil sie durchgehend Berufe mit vergleichbarer Vergütung ausgeübt haben.“ (Gesetzesentwurf der Bundesregierung, Bt. Drucksache, 16/10144, S. 60). Es wurde hiermit ausdrücklich die Anwendung des § 18 Abs. 1 VersAusglG auf Anrechte in den Regelversicherungssystemen vorgesehen, da nur dort ein zwingender Konnex zwischen der Vergütung und der zu erwartenden Altersversorgung besteht. Auch an anderer Stelle wird der Zweck des § 18 Abs. 1 VersAusglG ganz allgemein damit erläutert, dass „die Versorgungen“ einen annähernd vergleichbaren Wert haben (a.a.O., S. 31).
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Für eine Anwendung des § 18 Abs. 1 VersAusglG auf Anrechte in der gesetzlichen Rentenversicherung spricht auch die Tatsache, dass § 18 Abs. 1 VersAusglG ausdrücklich eine Empfehlung der Kommission „Strukturreform des Versorgungsausgleichs“ aufgreift (Gesetzesentwurf der Bundesregierung, Bt. Drucksache, 16/10144, S. 60). In deren Abschlussbericht wurde seinerzeit vorgeschlagen, einen Ausgleich bei geringfügigen Anrechten nicht durchzuführen. Es wurde weiter vorgeschlagen, die Geringfügigkeitsgrenze bei Anrechten in der gesetzlichen Rentenversicherung und anderen Anrechten unterschiedlich festzulegen (S. 38 des Abschlussberichts, abrufbar unter http://www.dnoti.de/DOC/2007/Abschlussbericht.pdf; Abrufdatum 15.03.2012). Wenn im Gesetzesentwurf der Bundesregierung dieser Gedanke aufgegriffen wurde, jedoch “dieses Grundkonzept (…) aus Praktikabilitätsgründen auf eine Wertgrenze beschränkt” wurde (Bt. Drucksache, 16/10144, S. 60), kann auch daraus nur der Schluss gezogen werden, dass eine Anwendung des § 18 Abs. 1 VersAusglG auf Anrechte in der gesetzlichen Rentenversicherung vorgesehen war. Daher kann die Norm nicht unter Hinweis auf den hauptsächlichen Normzweck der Vereinfachung nicht angewendet werden. Auch die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses des Bundestages (Bt. Drucksache, 16/11903) ging im Übrigen in Kenntnis der verfassungsrechtlichen Notwendigkeit, Versorgungsanrechte zwischen Ehegatten zu teilen (a.a.O. S. 1), davon aus, dass auch Anrechte bei demselben Versorgungsträger gem. § 18 Abs. 1 VersAusglG nicht auszugleichen sind (so das ausdrückliche Beispiel a.a.O., S. 54 zu einem privaten Altersvorsorgevertrag).
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Nach dem Vorgenannten ist es daher nicht möglich, entgegen dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers und dem Wortlaut des Gesetzes, §18 Abs. 1 VersAusglG lediglich unter Hinweis auf den Normzweck auf Anrechte in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht anzuwenden (so aber Bergner, NJW 2010, 3269, 3271 und jurisPK-Breuer, 5. Auflage v. 27.06.2011, § 18 VersAusglG, Rn. 56). Der Halbteilungsgrundsatz des § 1 VersAusglG wurde vom Gesetzgeber bewusst durchbrochen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 18 VersAusglG. Soweit ersichtlich beschäftigen sich die bislang veröffentlichten Entscheidungen (vom 30.11.2011 und 18.01.2012) mit der Anwendung des § 18 Abs. 2 VersAusglG auf Anrechte in der gesetzlichen Rentenversicherung bzw. dem Verhältnis des § 18 Abs. 1 VersAusglG zu § 18 Abs. 2 VersAusglG. Auch hat der Bundesgerichtshof selbst in Differenzierung zu seiner Rechtsprechung zu § 18 Abs. 2 VersAusglG hervorgehoben, dass „nur“ bei Anwendung des § 18 Abs. 1 VersAusglG „jeglicher Verwaltungsaufwand entfällt“ (BGH, Beschluss vom 30.11.2011, XII ZB 344/10; Tz. 35 FamRZ 2012, 192, 195). Mit dem vorliegend vorgenommenen Verzicht auf einen jeglichen Ausgleich wird jedoch auch bei Anrechten in der gesetzlichen Rentenversicherung der Gesetzeszweck der Verwaltungsvereinfachung – jedenfalls ansatzweise – noch verwirklicht, da überhaupt keine weiteren Maßnahmen von Seiten der Versorgungsträger zu treffen sind.
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Auch ist nicht aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalles entgegen dem intendierten Ermessen des § 18 Abs. 1 VersAusglG ein Ausgleich durchzuführen. Durch die Verwendung des Wortes „soll“ bringt der Gesetzgeber zum Ausdruck, dass in den Anwendungsbereich des § 18 Abs. 1 VersAusglG fallende Anrechte grundsätzlich nicht auszugleichen sind. Darüber hinaus hat er – in bewusster Durchbrechung des Halbteilungsgrundsatzes – eine Anwendung des § 18 Abs. 1 VersAusglG auf Anrechte in der gesetzlichen Rentenversicherung vorgesehen (s.o.).
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Selbst wenn man annimmt, dass der Halbteilungsgrundsatz auch bei der Auslegung des § 18 Abs. 1 VersAusglG vorrangig zu berücksichtigen ist (der Bundesgerichtshof bezieht sich im Beschluss vom 18.01.2012, XII ZB 501/11 in Tz. 21 allgemein auf ein Spannungsverhältnis zwischen § 18 VersAusglG und dem Halbteilungsgrundsatz), ist jedenfalls aufgrund der Umstände des konkreten Einzelfalles ein Ausgleich nicht geboten. Hierbei berücksichtigte das Gericht, dass die Anrechte beider Ehegatten bei der gesetzlichen Rentenversicherung B (…) bestehen, sodass der Ausgleich durch einfache Verrechnung gem. § 10 Abs. 2 VersAusglG erfolgen kann. Auch wird gesehen, dass vorliegend beide Ehegatten Anrechte in der gesetzlichen Rentenversicherung haben, sodass gerade keine “Splitterversorgungen” entstehen würden.
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Dies sind jedoch nicht die einzigen bei der Ermessensentscheidung gem. § 18 Abs. 1 VersAusglG zu berücksichtigenden Gesichtspunkte (a.A. wohl Borth, FamRZ 2012, 190, 191, wonach “Kernsatz” der Rechtsprechung des BGH sei, dass der Halbteilungsgrundsatz den Zweck des § 18 immer dann verdränge, wenn der Regelungszweck der Verwaltungsvereinfachung im konkreten Ausgleich nicht oder nur in geringem Umfang berührt wird). Daher ist im konkreten Fall weiterhin zu berücksichtigen, dass der Ehemann bereits 56 Jahre alt ist und -nach derzeitigem Stand -erst Rentenanwartschaften in Höhe von insgesamt 351 EURO erworben hat (As. 67 VA). Darüber hinaus ist er arbeitslos und lebt von Sozialleistungen. Er wird daher – bei Fortschreibung seiner Erwerbsbiografie und angesichts seines Alters – voraussichtlich nicht in der Lage sein, ein über einem Sozialhilfeniveau liegendes Renteneinkommen zu erwirtschaften. Bei dieser Sachlage erscheint es unvertretbar, unter Berufung auf den Halbteilungsgrundsatz entgegen der ausdrücklichen Intention des Gesetzgebers einen Teil der Versorgung des Ehemannes auszugleichen. Die Ehefrau ist demgegenüber angesichts ihres Alters von erst 40 Jahren noch eher in der Lage, durch Aufnahme einer Erwerbstätigkeit ihre Altersversorgung auszubauen.
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(…)
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